Schlagwort-Archiv: Maivogel

Ein hervorragendes Beispiel für den ehrenamtlichen Naturschutz. Neufunde des Maivogels (Euphydryas maturna) in den Bayerischen Alpen und Gefährdungsursachen in Bayern

Abbildung 1: Euphydryas maturna Männchen, Umgebung Piding, 1. Juni 2022. (Foto: Oliver Böck)

Abbildung 2: Euphydryas maturna Weibchen, Chiemgauer Alpen, 17. Juni 2025. (Foto: Annette Schulten)

Abbildung 3: Maivogel Raupengespinste an Fraxinus excelsior, Chiemgauer Alpen, 23. Juli 2025. (Foto: Annette Schulten)

Zusammenfassung: In diesem Artikel wird an Hand einer vom Aussterben bedrohten Art aufgezeigt, dass durch das ehrenamtliche Engagement besondere Neuentdeckungen in den Bayerischen Alpen und eine genaue Vorkommensanalyse mit ein bisschen Beistand der ehrenamtlichen Mitarbeiter der Website Tagfalter in Bayern möglich ist. Deren ehrenamtliches Engagement soll dabei auch näher aufgeführt werden. Diese besondere Art ist der Eschen-Scheckenfalter (Euphydryas maturna) ein Flaggschiff und Leitart des Naturschutzes von lichten Wäldern (Mittelwälder, in Osteuropa auch natürliche Auenlandschaften) in Mittel- und Osteuropa (vgl. u.a. Vrabec et al. 2019, Straka 2020, John et al. 2021 und Mihei et al. 2021). Sie ist sowohl national als auch regional vom Aussterben bedroht und europarechtlich durch die FFH-Richtlinie geschützt. In Bayern gab es nur noch Nachweise aus den Mittelwäldern des südlichen Steigerwalds und aus dem Salzach-Hügelland rund um Bad Reichenhall. Aus den Bayerischen Alpen waren keine gesicherten Nachweise mehr bekannt. Der Letztnachweis erfolgte 1991. Die ersten Entdeckungen erfolgten für die Berchtesgadener Alpen schon 2016 durch Salzburger Entomologen im Tal der Bischofswiesener Ache, aus den Chiemgauer Alpen waren seit Anfang der 1960er Jahre keine Populationen mehr bekannt.

Nun kommt die Erstautorin Annette Schulten ins Spiel, die durch Zufall erst an zwei Stellen Imagines im Gebiet rund um den Teisenberg fand. Durch engem Austausch mit dem Zweitautoren Oliver Böck, der ihr u.a. Fotos von Gespinsten der Art zukommen ließ und einige Tipps bei der Suche gab, begann sie in der weiteren Umgebung unermüdlich nach Gespinsten Ausschau zu halten, diese pflegte sie größtenteils fototechnisch dokumentiert bei unserem Portal ein. Bei einer gemeinsamen Exkursion konnte sie zusammen mit dem Zweitautoren eine zweite größere Population entdecken, sie fand zudem eine Satellitenpopulation sowie einzelne Gespinste in der weiteren und näheren Umgebung sowie im zwei Gespinste um Zinnberg-/Sulzschneidmassiv. Die Hauptpopulation dürfte im Moment die größte in Bayern sein. Bis auf rund 1080 m üNN konnten Reproduktionsnachweise von der Erstautorin ermittelt werden. In diesem Artikel werden die Entdeckungsgeschichte, die Habitate, die Kartierungsergebnisse der Hauptautorin und mögliche Schutzmaßnahmen für die Art besprochen, diese wurden vom zweiten Autoren durch eigene langjährige Expertise zur Art und Literaturrecherche ermittelt. Für die Art läuft im Landkreis Berchtesgaden mittlerweile seit 2024 ein Artenhilfsprogramm (AHP) für das Tal der Bischofswiesener Ache und die Populationen im Bad Reichenhaller Becken auch hierzu gibt es nähere Informationen. Die aktuellen Gefährdungsursachen für die Mittelwälder im südlichen Steigerwald werden genannt.

Summary: This article uses an endangered species as an example to show that volunteer work can lead to special new discoveries in the Bavarian Alps and a precise analysis of occurrence with a little assistance from the volunteers of the Tagfalter in Bayern website. Their volunteer work will also be described in more detail. This particular species is the ash-brown hairstreak (Euphydryas maturna), a flagship and keystone species for the conservation of open forests (middle forests, and in Eastern Europe also natural floodplain landscapes) in Central and Eastern Europe (see, among others, Vrabec et al. 2019, Straka 2020, John et al. 2021, and Mihei et al. 2021). It is threatened with extinction both nationally and regionally and is protected under European law by the Habitats Directive. In Bavaria, there were only records from the coppice forests of the southern Steigerwald and from the Salzach hills around Bad Reichenhall. There were no longer any confirmed records from the Bavarian Alps. The last record was in 1991. The first discoveries in the Berchtesgaden Alps were made in 2016 by entomologists from Salzburg in the Bischofswiesener Ache valley; no populations had been known in the Chiemgau Alps since the early 1960s.

Now the lead author, Annette Schulten, comes into play. She happened to find imagines in two locations in the area around Teisenberg. Through close collaboration with the second author, Oliver Böck, who sent her photos of the species‘ webs and gave her some tips on how to search for them, she began tirelessly searching for webs in the wider area, most of which she documented with photos on our portal. During a joint excursion, she and the second author discovered a second larger population. She also found a satellite population and individual webs in the wider and closer vicinity, as well as two webs around the Zinnberg/Sulzschneid massif. The main population is likely to be the largest in Bavaria at present. The first author was able to find evidence of reproduction up to around 1080 m above sea level. This article discusses the history of the discovery, the habitats, Annette Schulten`s mapping results, and possible conservation measures for the species, which were determined by the second author, based on his own long-standing expertise on the species and literature research. A species conservation program (AHP) for the species has been running in the Berchtesgaden district since 2024 for the Bischofswiesener Ache valley and the populations in the Bad Reichenhall basin; more detailed information is also presented. The current causes of endangerment for the coppice forests in the southern Steigerwald are mentioned.

Der Maivogel (Euphydryas maturna) ist in Bayern (Voith et al. 2016) und auch bundesweit (Musche et al. 2025) vom Aussterben bedroht. Als Habitat dienen in Nordbayern warme und luftfeuchte eschenreiche aktiv bewirtschaftete Mittelwälder, wie sie nur noch großflächig im Südlichen Steigerwaldes existieren. Dort konzentriert sich die Art auf eine Metapopulation im NSG Gräfholz-Dachsberg und die umliegenden Waldgebiete wie etwa bei Humprechtsau und den Stadtwald von Bad Windsheim. Ein Vertragsnaturschutzprogramm für den Wald (VNP Wald) sichert die Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung, aber zunehmende Verbuschung mit Schlehen, trockene Sommer mit Austrocknung von Feuchtflächen und das Eschentriebsterben sind auch für dieses Vorkommen eine Bedrohung (Fischer 2017, Dolek et al. 2018, eigene Beobachtung Böck). Obwohl die Art auch Anpassungsstrategien für trockene Jahre entwickelt hat und dort auch andere Pflanzen vor der Überwinterung wie Veronica longifolia zum Fressen nutzt (Mayer 2020 und Steiner et al. 2022), sind die Bestände in den letzten beiden Jahren (2024/2025) auf sehr niedrigem Niveau und ein baldiges Aussterben zumindest von Satellitenpopulationen steht zu befürchten. Nachsuchen im ehemals gut besiedelten Ezelheimer Mittelwald waren zuletzt erfolglos. Die Art ist bekannt für ihre Populationsschwankungen, aber die Vorkommen scheinen trotz der Naturschutzmaßnahmen derzeit kaum davon zu profitieren. Ein weiteres Problem ist das sehr hohe Besucheraufkommen im NSG Gräfholz-Dachsberge. Dort wurden schon Möglichkeiten einer Besucherlenkung diskutiert, da sich ein Teil der Besucher (geringer Anteil) nicht an Wegegebote hält und somit auch die empfindliche Vegetation vor Ort teilweise in Mitleidenschaft gezogen wird. Dieses Jahr waren auch „Interessierte“ mit Keschern aus den Beneluxstaaten unterwegs, deshalb wird bei dieser Publikation darauf verzichtet genaue Fundorte in den Chiemgauer Alpen zu nennen, denn diese sind den ausführenden Umweltbehörden bekannt.

Auf feuchten Kahlschlägen und Waldinnensäumen entlang von Waldwegen im Hügelland, gestuften Waldaußenrändern entlang von Streuwiesen und in Windwurfflächen der Saalachauen bei Marzoll kommt die Art lokal im Raum Bad Reichenhall vor. So sind zum Beispiel auf den Kahlschlägen im Gebiet des Högl (Abbildung 5) nur äußerst geringe Individuendichten und wenige Gespinstfunde zu beobachten. Dort scheint sich aber durch vereinzelte Kahlschläge, vor allem in den letzten Jahren, die Situation verbessert zu haben. Auf dem Truppenübungsplatz Kirchholz wurden Imagines im zweistelligen Bereich gefunden (Dumke), leider darf dieser nicht mehr betreten werden. Es besteht eine Verbindung zu Vorkommen im Bundesland Salzburg, so z. B. auf Flächen im Umfeld des Untersbergs beim Freilichtmuseum, wo Euphydryas maturna teilweise die häufigste Art ist (eigene Beobachtung Böck). Sie ist laut aktueller Roter Liste für das Bundesland Salzburg dort nur noch stark gefährdet, da in den letzten 20 Jahren neue Populationen entdeckt wurden. Die Art ist aber nur lokal verbreitet und die Habitate sind nicht großflächig, am Untersberg war sie Zielart eines Life Natur Projektes. (https://www.sciencevision.at/de/produktionen/schmetterlingsland-am-untersberg/,Gros 2023).

Die Vorkommen im Bad Reichenhaller Becken befinden sich geografisch im Salzach-Hügelland und somit noch im Alpenvorland, deshalb wurde Euphydryas maturna in der letzten Roten Liste für Bayern (Voith et al. 2016) für den Alpenraum als ausgestorben angesehen. Der Letztfund aus den Chiemgauer Alpen stammt vom Thumsee von 1991. Aus den Berchtesgadener Alpen sind nur Altnachweise von vor 1970 bekannt.

Die ersten Wiederfunde für die Bayerischen Alpen gelangen im Umfeld im Bischofswiesener Achental auf Kahlschlägen durch Salzburger Entomologen 2016 (mündl. Mitt. Henrik Klar-Weiß). Diese gehören geografisch schon zu den Berchtesgadener Alpen. Beim Aufsuchen von vier Flächen (zwei mit Nachweisen, zwei höher gelegene Bereiche) zusammen mit Benjamin Morawietz konnte am 22.6.2025 kein Falternachweis erbracht werden. An den beiden Nachweisflächen (Abbildung 6) war es wahrscheinlich zu spät für die Flugzeit und die höher gelegenen Flächen waren fast gänzlich frei von Eschen. Derzeit läuft ein Artenhilfsprogramm (AHP) der Regierung von Oberbayern, das sowohl die Kartierung der bekannten Flächen bei Bad Reichenhall, als auch die Nachsuche im Tal der Bischofswiesener Ache beinhaltet. Hier konnte 2025 eine gute Gespinstdichte festgestellt werden, diese ist aber weiter im Gebiet verteilt und es gibt keine Hotspots. Parallel dazu läuft eine Masterarbeit von Christopher Schöndorfer, die sich mit der Gentik der Art vornehmlich auseinandersetzt. Diese befindet sich kurz vor der Fertigstellung (mdl. Mitt. Henrik Klar-Weiß).

Besonders erfreulich sind die Neunachweise der Erstautorin aus den Chiemgauer Alpen im Landkreis Traunstein bei Inzell. Die meisten der Altnachweise stammen noch von Ludwig Wihr senior. Die Art galt deshalb für den Landkreis seit Ende 1950er/Beginn der 1960er Jahre als ausgestorben, denn ausgiebige Nachsuchen durch Geissner zu Beginn der 1990er Jahre hatten keinen Erfolg. Annette Schulten meldete am 17.6.2025 den ersten Wiedernachweis und zwei weitere Imaginalnachweise am 26.6. und am 27.6. bei unserem Portal Tagfalter in Bayern.

Daraufhin nahm der Zweitautor Oliver Böck Kontakt zu ihr auf und gab ihr ein paar Informationen hinsichtlich der Gespinstsuche, der Bestimmung und nach möglichen potentiellen Habitaten in der Umgebung mittels Luftbildrecherche. Daraus entstand ein regelmäßiger Kontakt der auch eine gemeinsame Exkursion beinhaltete. Sämtliche Datensätze wurden wie üblich von unserem Expertenteam geprüft, eine der vielen Aufgaben die bei einer Pflege eines Portals wie Tagfalter in Bayern anfallen. Jeder der neun Projektkoordinatoren ist beruflich (teils im Naturschutz, teils in anderen Berufsfeldern) oder universitär stark eingebunden. Trotzdem versuchen sie in ihrer Freizeit eigene Daten zumeist von seltenen Arten oder aus nicht so gut frequentierten Regionen zu erheben. Die Datenprüfung aus anderen Meldeportalen (Observation Inaturalist, Lepiforum oder teilweise Naturgucker (hier nur Daten mit Fotobeleg oder von erfahrenen Meldern)) bereitet am meisten Arbeit. Denn bei uns werden wirklich alle Datensätze geprüft auch die aus dem Meldeportalen nochmals. Dadurch ist die Datenlage bei vielen expandierenden und seltenen Arten deutlich besser als in den Datenbanken der Behörden. Die Aktualisierung des Blogs und eigene wissenschaftliche Veröffentlichungen sind ebenfalls arbeitsintensiv.

Durch über Jahre hin erworbenen persönliche Kontakte des Zweitautors und auch der Hilfe der Erstautorin konnten alle wichtigen Akteure vor Ort (UNB und Gebietsbetreuung Landkreis Traunstein, LfU Bayern, Biodiversitätsberatung Regierung von Oberbayern und Landkreis Berchtesgaden) über die Funde sehr schnell informiert werden, womit schnellere Maßnahmen vor Ort generiert werden können. Eine Karte mit den Funden wurde an alle beteiligten Akteure weitergeleitet (Ähnlich bei anderen besonderen Funden wie Polyommatus damon in den Allgäuer Hochalpen oder Satyrium ilicis bei Mühldorf).

Während die Flugzeit von Euphydryas maturna im Bad Reichenhaller Becken je nach Frühjahrswitterung mittlerweile Ende Mai/Anfang Juni beginnt, startet sie im Raum Inzell rund eineinhalb bis zwei Wochen später, da die Habitate auch deutlich höher liegen. Noch am 26.6. flogen die Falter in beiden Geschlechtern, wenn auch schon deutlich gezeichnet in einer zweistelligen Individuenanzahl. Sechsjährige Untersuchungen in den Östlichen Kalkalpen in Österreich zeigen eine Flugzeit von 20.6. bis 7.7. von 2014 bis 2019 auf 670-750 m üNN (Straka 2020). Im Bad Reichenhaller Raum eigene Beobachtungen von 440-560 m üNN. Die Flughöhe im Teisenberggebiet weist eine deutlich größere Höhenamplitude von rund 340 Metern auf, mit dem Höchstfund auf 1080 m üNN . An dem einzigen Fundort in Italien in den italienischen Südwestalpen finden sich die Habitate zwischen 1030-1320 m üNN (Dolek et al. 2013). Die Gespinste im Untersuchungsgebiet befanden sich an Fraxinus excelsior die meist in südwestlicher bis -östlicher Exposition standen. Insgesamt konnte die Erstautorin 128 Gespinste im Teisenberggebiet und zwei im Zinnkopf/Sulzbergschneidmassiv finden. Davon befinden sich 111 Gespinste im Landkreis Traunstein und 19 im Landkreis Berchtesgaden Land. Die Funde der Gespinste fanden zwischen dem 22.7. und 7.9. 2025 statt.

Besiedelt wird zum einen ein Feuchtwald aus Eschen (Fraxinus excelsior), Schwarzerlen (Alnus glutinosa), Weiden (Salix spec.) und Traubenkirsche (Prunus padus) mit angrenzender Streuwiese. Zwischen der Streuwiese und dem Wäldchen fließt ein Quellbach, der von zwei wieder frei gelegten Hangquellen gespeist wird. Als Nektarpflanze wird dort der Arznei-Baldrian (Valeriana officinalis) genutzt. Ein Larvalnachweis konnte entlang eines luftfeuchten Waldweges in der Nähe gemacht werden (Abbildung 9). Bei diesem Vorkommen scheint es sich um eine Satellitenpopulation zu handeln, die weitflächiger verteilt zu sein scheint. Bis jetzt wurden dort drei Gespinste gefunden. Rund 1,3 Kilometer südlich davon Fund von zwei Gespinsten.

Teilaspekte des zweiten deutlich größeren Vorkommens werden in Abbildung 7 und 8 gezeigt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen Feuchtwald in der Nähe eines Bachlaufs, aber auch um lichte besonnte Waldwege mit feuchten Quellhorizonten. Wahrscheinlich kann die Art auch noch in einigen kleineren Waldschlägen beobachtet werden, die bis jetzt noch nicht genauer untersucht sind. Dies ist im Moment die Kernpopulation, dort und in der näheren Umgebung gelangen der Erstautorin auch zahlreiche (n=92) Gespinstnachweise und auch noch drei Eigelege der Art konnten beobachtet werden. Im Gebiet liegt auch der aktuell höchste Präimaginalnachweis in Deutschland mit rund 1080 m üNN. Zwei weitere Funde über 950 m üNN. Die meisten der Beobachtungen aber zwischen 760 bis 860 m üNN. Die Gespinste finden sich in unterschiedlichen Ablagehöhen, Meist wurden jüngere niedrige Eschen belegt in einer Höhe ab 0,8 Metern, aber auch Gespinste auf höheren Bäumen in bis über acht Metern Höhe konnten angetroffen werden, an einer Esche insgesamt sogar 6 Gespinste. Die durchschnittliche Höhe der Gespinste lag bei n= 39 auf 1,9 Metern Höhe. Bei den Untersuchungen von Straka (2020) in Österreich konnten die Gespinste an Eschen zwischen 0.9 und 25 Metern Höhe nachgewiesen werden, wobei eine mittlere Ablagehöhe von 6,5 Metern bei n = 334 Gespinsten bestand, er fand dort maximal sieben Gespinste an einer Pflanze. Der Erstnachweis für die Hauptpopulation wurde aber am 22.6. hier gemeldet, aber erst später an die Hauptautorin weitergeleitet: https://www.inaturalist.org/observations/291842525.

Beide Autoren konnten in den Chiemgauer Alpen eine weitere Population in ca. drei Kilometern Entfernung zur Hauptpopulation nachweisen (Abbildung 12). Diese befindet sich bereits im Landkreis Berchtesgaden in 750-790 m üNN und entspricht demselben Habitatschema wie schon an den anderen Stellen der Region. Insgesamt gelang der Nachweis von 15 Gespinsten. Die durchschnittliche Höhe der Gespinste lag bei n= 14 auf 2,6 Metern Höhe. Die Erstautorin konnte die Art außerhalb dieser Stellen noch an zwei weiteren im Landkreis Berchtesgaden Land und an zwei Stellen im Landkreis Traunstein im Teisenbergmassiv nachweisen, dort aber nur einzelne (eins bis vier) Gespinste. Diese befinden sich im Landkreis Traunstein in ca. in 3,5 bis 5 Kilometern zur Hauptpopulation und im Landkreis Berchtesgaden in 2,5 bis 3,5 Kilometer Entfernung zur zweiten größeren Population.

Aktuelle Funde von zwei Gespinsten konnte die Erstautorin im Zinnkopf-/Sulzbergschneidmassiv machen (Abbildung 11), dort bestehen ähnliche gute Grundvoraussetzungen wie im Teisenberggebiet. Auch dort gibt es viele Quellhorizonte und luftfeuchte Wälder mit Eschenbeständen, diese sind aber teilweise nicht licht genug für eine Besiedelung.

Ob es sich um unentdeckte Populationen oder um eine Zuwanderung aus der Bad Reichenhaller Gegend handelt, ist unklar. Wahrscheinlicher ist es aber das die Art dort schlichtweg übersehen wurde aus folgenden Gründen:

  • es waren in der Region in den letzten Jahrzehnten kaum mehr Entomologen aktiv
  • kein Populationsdruck im Bad Reichenhaller Raum, dadurch abwandernde Tiere sehr unwahrscheinlich, Zuwanderung vom Untersberg (Bundesland Salzburg) noch unwahrscheinlicher.
  • Vitalität der aktuellen Kernpopulation und Neufunde auch in der Umgebung

Abbildung 4: Verbreitungskarte: Aktuelle Verbreitung von Euphydryas maturna in Südostbayern, Schwarze Kreise: aktuelle Nachweise nach 2020, Graue Kreise: Nachweise nach 2000, Weiße Kreise: Altnachweise bis 1970 ABE-Datenbank, Weiße Rechtecke: Altnachweise bis 1970 Atlas Tagfalter in Bayern.

Die Art ist trotz Schutzmaßnahmen weiterhin vom Aussterben bedroht. Im Raum Bad Reichenhall von der Streuwiesenpflege, Windwurfflächen in Auen, und von der Kahlschlagbewirtschaftung abhängig. ebenso im Bischofswiesener Achental von Kahlschlägen und dem Erhalt stufiger Waldinnen- und Waldaußensäume in feuchten eschenreichen Wäldern. Für die Populationen in den Chiemgauer Alpen gibt es Dank ehrenamtlicher Grundlagenerhebung der Autorin ein genaues Verbreitungsgebiet in beiden Landkreisen. Deshalb wäre es wichtig das AHP für Euphydryas maturna im Bad Reichenhaller Raum auch auf das Teisenberggebiet auszuweiten, denn nur in dieser Gesamtregion besteht ein großes Potential zum langfristigen Erhalt der Art in Bayern, nachdem die Bestände im südlichen Steigerwald trotz intensiver Pflege auf einem langjährgen Tiefpunkt sind und ein hohes Aussterbepotential haben.

Eine wichtige Maßnahme zur Erhaltung der Art rund um den Teisenberg, die natürlich mit den zuständigen Forstbehörden abgestimmt werden muss, ist die Pflege der Waldinnensäume entlang von Wegen mit Quellhorizonten oder Gebirgsbächen um das Eschenwachstum zu fördern. Abgestufte Innensäume teilweise mit Buchten entlang der Wege und Flußläufe werden bei der Eiablage präferiert. Desweiteren werden auch Waldaußensäume hin zu Streuwiesen als Reproduktionshabitat genutzt, auch hier muss bei der Pflege auf randständige Eschen und eine stufenförmige Waldrandgestaltung geachtet werden. Die Art findet sich in der Region auch des Öfteren auf kleineren Kahlschlägen mit Eschenaufwuchs. Eine Entwicklung kleinerer Kahlhiebe an luftfeuchten Standorten mit Gebirgsbächen oder Quellhorizonten in der Nähe sollte angestrebt werden, auch wenn dies der Praxis des natürlichen Waldbaus entgegenläuft. Als Lichtwaldart ist sie auf Waldlückensysteme dringend angewiesen, bei einer Schließung und keiner gleichzeitigen Entstehung neuer Habitate in der näheren Umgebung verschwindet auch die Art. Bei der Pflege der Wegränder (Mulchung, Mahd) muss dringend auf jüngere Eschen geachtet werden, da die Gefahr besonders während der Gespinstphase groß ist, dass dadurch ein nicht unerheblicher Teil der Raupen vernichtet wird. Eine Förderung der Esche an luftfeuchten Standorten ist eine weitere Option zur Stützung der Populationen. Für das Bundesland Salzburg nannte Gros 2023 die Erstellung eines Artenschutzprogramms und eines Monitorings für alle Populationen als dringendste Punkte. Diese Punkte sollten ebenfalls auf alle Vorkommen in den bayerischen Alpen übertragen werden. Im Gebiet Zinnkopf/Sulzbergschneid könnten neu gestaltete kleinere Öffnungsmaßnahmen eine weitere Besiedelung ermöglichen. Ähnliches gilt für den nordwestlichen und den nördlichen Teil des Teisenbergs, wo lichte Waldbereiche auch deutlich unterrepräsentiert sind. Das Gesamtpotential dieser beiden Gebiete zur Erhaltung der Art ist riesengroß und kann in einem größeren eigenständigen Projekt, wie beim Life Natur Projekt Untersberg Vorland, deutlich vergrößert werden.

Erste Schutzmaßnahmen für die Populationen im Bad Reichenhaller Talkessel sowie im Tal der Bischofswiesener Ache laufen gerade, unter anderem in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Waldgenetik und den Bayerischen Staatsforsten (mdl. Mitt. Henrik Klar-Weiß).

Meldungen der Art im Portal sind immer gerne erwünscht. Unser besonderer Dank vom ganzen Team der ABE gilt Annette Schulten für die Meldungen, Fotos und den sehr guten fachlichen Austausch in den letzten Wochen. Eine genaue Kartierung wie sie sie durchführt hat, wäre durch ein Planungsbüro gerade unter den gerade vorherrschenden finanziellen Bedingungen im Naturschutz nicht bezahlbar gewesen. Bei einem Stundensatz von zwischen 50 bis teilweise über 100 Euro, kann man sich ausrechnen welche Leistung Annette Schulten an 20 Tagen im Gelände zwischen dem 22.7. und dem 13.9. bei der Gespinstsuche erbracht hat. Nicht mit eingerechnet die Imaginalsuche und die Tage an denen sie unter anderem auch einen Wiedernachweis des Dukatenfalters (Lycaena virgaureae) für die Chiemgauer Alpen nach 59 Jahren erbrachte. Zudem bekam sie auch keine Kilometerpauschale, keine Bezahlung für die Dateneingabe und die Erstellung eigener Karten. Dies soll hier nur einmal zur Veranschaulichung dienen und auch einmal besondere Erwähnung finden. Sie war was die Verbreitungskarte nicht zeigt, an vielen anderen Stellen in den beiden Landkreisen unterwegs und hat vergeblich nach der Art gesucht. Der große Dank gilt auch den zahlreichen anderen Meldern auf unserem Portal, die in ihrer Freizeit ebenfalls wunderbare Daten liefern und so zur Aktualität der Website erheblich beitragen.

Eine Veröffentlichung mit Frau Schulten als Hauptautorin ist für Ende des Jahres in den Beiträgen zur bayerischen Entomofaunistik durch die ABE geplant. Des weiteren gilt der Dank Henrik Klar-Weiß den Biodiversitätsberater im Landkreis Berchtesgaden, sowie dem Biodiversitätsberater Björn Hauschildt von der Regierung von Oberbayern für die sehr gute Kooperation.

https://www.tagfalterbayern.de/art?art=Euphydryas%20maturna

Abbildung 5: Euphydryas maturna Larvalhabitat im Mittelwald, Luftfeuchte Lichtung mit Pfeifengrasbeständen, Weibchen bei der Eiablage, NSG Gräfholz-Dachsberge, südlicher Steigerwald, 17. Juni 2019. (Foto: Oliver Böck)

Abbildung 6: Imaginal- und Larvalhabitat, Umgebung Piding, 6. Juni 2024. (Foto: Oliver Böck)

Abbildung 7: Mögliches Larvalhabitat, ein Kahlschlag bei Bischofswiesen, Faltersichtung in der unmittelbaren Umgebung, 22. Juni 2025. (Foto Oliver Böck)

Abbildung 8: Höher gelegenes Larvalhabitat, Waldweg mit Auflichtungen und Quellhorizonten auf 870m üNN, Chiemgauer Alpen, Landkreis Traunstein, 23. Juli 2025. (Foto: Annette Schulten)

Abbildung 9: Larvalhabitat entlang eines Flußlaufes, Chiemgauer Alpen. Landkreis Traunstein, 23. Juli 2025. (Foto: Annette Schulten)

Abbildung 10: Larvalhabitat der zweiten aber deutlich kleineren Satellitenpopulation, Chiemgauer Alpen. Landkreis Traunstein, 23. Juli 2025. (Foto: Annette Schulten)

Abbildung 11: Larvalhabitat in lichteren Waldbereichen entlang einer Forststrasse des Gebiets Zinnkopf/Sulzbergschneid, 1. September.2025. (Foto Annette Schulten)

Abbildung 12: Larvalhabitat der zweiten größeren neuentdeckten Population, an dieser Stelle 7 Gespinste, Chiemgauer Alpen. Landkreis Berchtesgaden Land, 6. August 2025. (Foto: Oliver Böck)

Literatur:

Dolek, M., Hager, A., Geyer, A., Balletto, E. & Bonelli, S. (2013): Multiple oviposition and larval feeding strategies in Euphydryas maturna (Linné, 1758) (Nymphalidae) at two disjoint European sites. Journal of Insect Conservation. 17. 357-366. 10.1007/s10841-012-9516-x.

Dolek, M.; Kőrösi, Á. & Freese-Hager, A. (2018): Suc­cessful maintenance of Lepidoptera by govern­ ment-funded management of coppiced forests. – Journal for Nature Conservation 43: 75–84. – DOI: https://doi.org/10.1016/j.jnc.2018.02.001

Gros, P. (2023): Rote Liste der Tagfalter Salzburgs – Evaluierung des Gefährdungsstands der in Salzburg
nachgewiesenen Tagfalterarten, Datenstand 2021 – Naturschutzbeitrag 45/23: S 1-74

Fischer, U., Dolek, M., Bolz, R., & Kurtz M. (2017): Zur Situation des Eschen-Scheckenfalters (Euphydryas maturna Linnaeus, 1758) (Lepidoptera) in Deutschland – ein Beitrag zur Biologie, Verbreitung, Gefährdung und Artenhilfe – Entomologische Nachrichten und Berichte – 61: 181 – 196.

John, V., Pavlíčko, A., Vrabec, V., Rybová, V., Andres, M., & Konvicka, M. (2021). Cyclic abundance fluctuations in a completely isolated population of Euphydryas maturna. Nota Lepidopterologica. 44. 213-222. 10.3897/nl.44.69153.

Mayer, S. (2020): Der Eschenscheckenfalter (Euphydryas maturna Linnaeus, 1758) (Lepidoptera, Nymphalidae) in Baden-Württemberg – Biologie der Präimaginalstadien, Gefährdungsursachen und Schutzmaßnahmen. – Carolinea 78: 43-71.

Mihai, S., Vizauer, T.C., Iorgu, E. & Iorgu, I. Ș. (2021). New data on the distribution of the threatened Scarce fritillary, Euphydryas maturna (Lepidoptera: Nymphalidae), in southern Romania. Travaux du Muséum National d’Histoire Naturelle “Grigore Antipa“Antipa”. 64. 95-100. 10.3897/travaux.64.e70022.

Musche, M.; Albrecht, M.; Becker, J.; Bittermann, J.; Blanckenhagen, B. von; Böck, O.; Caspari, A.; Caspari, S.; Dolek, M.; Harpke, A.; Hermann, G.; Joger, H.G.; Kolligs, D.; Lange, A.; Müller, D.; Nunner, A.; Pollrich, S.; Reinelt, T.; Rennwald, E.; Schmitz, O.; Schönborn, C.; Schulze, W.; Schurian, K.; Strätling, R.; Wachlin, V. & Wiemers, M. (2025): Rote Liste und Gesamtartenliste der Tagfalter und Widderchen (Lepidoptera: Papilionoidea & Zygaenidae) Deutschlands – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (11): 93 S.

Steiner, A., Böck, O., Freese-Hager, A. & Dolek, M. (2022): Aktueller mitteleuropäischer Neunachweis des Langblättrigen Ehrenpreises (Veronica longifolia L.) als Raupennahrungspflanze des Maivogels (Euphydryas maturna Linnaeus, 1758) in Bayern). (Insecta: Lepidoptera: Nymphalidae) – Beiträge zur bayerischen Entomofaunistik – 21: 101 – 107.

Straka, U. (2020): Ökologie des Eschen-Scheckenfalters (Euphydryas maturna) anhand einer Population in den Östlichen Kalkalpen in den Jahren 2014–2019. Beiträge zur Entomofaunistik 21: 33-67

Voith, J., Bräu, M., Dolek, M., Nunner, A. & Wolf, W. (2016): Rote Liste und Gesamtartenliste der Tagfalter (Lepidoptera: Rhopalocera) Bayerns. Herausgeber: Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU Bayern), 19 S.

Vrabec, V., Bubová, T., Kulma, M., Krása, A. & Nowicki, P. (2019). How Euphydryas maturna survived extinction in the Czech Republic: status of a relic population after intensive conservation management. Journal of Insect Conservation. 23. 10.1007/s10841-019-00145-x.