Schlagwort-Archive: Felshalden-Flechtenbärchen Setina roscida aktuelle Beobachtungen 2024

Das Felshalden-Flechtenbärchen (Setina roscida) in Bayern. Neues zu aktuellen Beobachtungen, Ökologie, Habitatpräferenzen, Gefährdungslage und Schutzmaßnahmen einer der seltensten Nachtfalterarten Deutschlands.

Felshalden-Flechtenbärchen, Landkreis Kelheim, 03. Juni 2017 (Foto: Oliver Böck)

Summary: Setina roscida is a diurnal moth from the subfamily of the beetle moths (Arctiinae), it is considered the leading species of variegated earth lichen communities. In Bavaria, the nominate species Setina roscida roscida is found, while the populations in north-eastern Germany belong to the subspecies Setina roscida kuhlweinii. It is one of the rarest moth species in Germany and current records (after 2010) of the nominate species exist outside Bavaria only from the Nahe in Rhineland-Palatinate. This article describes the current population situation of the species, which is threatened with extinction throughout Germany and Bavaria, with a special focus on the current occurrences in Bavaria. Through literature research, the former distribution of the species could be determined in more detail. Observations on the behavior of the larvae as well as the habitat preferences (rocky steppe heaths and and xerotherm sedge grasslands) of this species are presented. In addition, information is provided on the current endangerment situation, on protection and conservation measures and on other special species with which Setina roscida shares former and current habitats, such as the spider species Eresus sandaliatus. Distinctive features of Setina irrorella, which also occurs at the flight site near Kelheim, are mentioned. Searches in Main Franconia are of particular importance, as the last records from there date back to 2012. Potential and former habitats there are mentioned, while the author has searched along the rivers Laaber and Naab several times without success. Please report the species to the portal https://www.schmetterlingebayern.de/

Das Felshalden-Flechtenbärchen (Setina roscida) ist ein tagaktiver Nachtfalter aus der Unterfamilie der Bärenspinner (Arctiinae), Es gilt als Leitart von Bunten Erdflechtengesellschaften. In Bayern kommt die Nominatart Setina roscida roscida vor, während die Populationen in Nordostdeutschland zur Unterart Setina roscida kuhlweinii gerechnet werden. Sie ist eine der seltensten Nachtfalterarten in Deutschland und aktuelle Nachweise (nach 2010) zur Nominatart existieren außerhalb von Bayern nur noch von der Nahe in Rheinland-Pfalz. In diesem Artikel wird die aktuelle Bestandssituation der bundes- und bayernweit vom Aussterben bedrohten Art dargelegt, mit speziellen Blick auf die aktuellen Vorkommen in Bayern. Durch Literaturrecherche konnte die frühere Verbreitung der Art näher eruiert werden. Beobachtungen zum Verhalten der Larven, sowie die Habitatpräferenzen (Felssteppenheiden und xerotherme Erdseggenrasen) dieser Art werden aufgezeigt. Daneben finden sich noch Angaben zur aktuellen Gefährungslage, zu Schutz- und Pflegemaßnahmen und zu anderen besonderen Arten mit der sich Setina roscida die ehemaligen und aktuellen Lebensräume teilt, wie zum Beispiel mit der Spinnenart Eresus sandaliatus. Unterscheidungsmekrmal zu Setina irrorella, die auch am Flugort bei Kelheim vorkommt, werden genannt. Von besonderer Bedeutung sind Nachsuchen in Mainfranken, da von dort zuletzt Nachweise von 2012 stammen. Potentielle und ehemalige Habitate dort werden genannt, während der Autor entlang der Flüsse Laaber und Naab mehrmals erfolglos gesucht hat. Meldungen zur Art bitte an das Portal https://www.schmetterlingebayern.de/

Beobachtungen der Art von 11-17 Uhr, gegen 15 Uhr durch Steffen Schmidt Nachweise zu Paarungsflügen wo bis zu fünf Individuen gefunden werden konnten (https://forum.lepiforum.org). Zumindest unter Zuchtbedingungen und bei Gabe von befeuchtetem Moos konnte er die Raupen in der letzten Haut unter tags beobachten. Seine Beobachtungen werden hier wörtlich übernommen: „Im Schatten oder bei Bewölkung ganztags, bei praller Sonne nur in schattigen Ritzen zwischen Steinen und Moos, welches sie dann wurzelseitig als Nahrung nahmen. Bei der kleinsten Störung, etwa stärkerem Wind oder Bewegung, verkrochen sich die Raupen auch bei Bewölkung – um die Nahrungsaufnahme an den Wurzeln von Moosen und Flechten fortzusetzen. Steinflechten werden genommen, aber nur, wenn diese Abends befeuchtet werden, wie es auch im Lebensraum passieren dürfte. Richtig heiße und trockene Bedingungen scheinen die Raupen problemlos zu überstehen, sie nehmen dann jedoch in der Zucht (meiner Erfahrung nach) keine Nahrung am Tage auf… für Raupennachweise dürfte ein bewölkter Tag Ende März oder Anfang April durchaus vielversprechend sein, am besten Morgens bis etwa 11 Uhr“. Die gefundenen Raupen wurden nur zur Bestimmung eingetragen, da am Fundort auch das Trockenrasen-Flechtenbärchen (Setina irrorella) vorkommt, die geschlüpften Falter wieder punktgenau im Habitat ausgesetzt. Daneben gelang auch der Nachweis einer 2. Generation (https://forum.lepiforum.org). Zur Hauptflugzeit werden regelmäíg 15-30 Exemplare gefunden.

Setina roscida war in Bayern vornehmlich im Oberpfälzer Jura (Mittlere Frankenalb sowie im östlichen Teil der Südlichen Frankenalb) sehr lokal verbreitet. Ein zweiter Verbreitungsschwerpunkt lag in den Mainfränkischen Erdseggenrasen, Nachweise dort auch aus den 1990er Jahren (Tannert 1994 und Weidemann & Köhler 1996). Wahrscheinlich aus den Plattenkalk-Steinbrüchen bei Wintershof stammen vier Meldung zwischen 1979 und 1985 (Thöny 1995). Zudem führt sie Wittstadt (1960) aus der Nördlichen Frankenalb für folgende Orte auf: Abhänge der Ruine Streitberg (Funde von 1922-1934), östlich von Veilbronn (1947) und einmal im Aufseßtal (1952). Bei Nachsuchen im Bereich der ehemaligen Fundorte bei Laaber, Undorf, Deuerling (Metschl & Sälzl 1932-35) auf der Kelheimer Brannt und Kallmünz (Schloßberg, Eicher Berg, Hirmesberg) gelang leider kein Nachweis. Erdseggenreiche, flechtenreiche und steile teilweise felsdurchsetzte Magerrasen existierten dort bis Ende der 2000er Jahren an der Pfarrerplatte und dem Eitelberg zwischen Deuerling und Undorf, am Martinsberg bei Laaber, am Eicher Berg und Hirmesberg bei Kallmünz. Heute dort nur noch kleinflächig zu finden, u.a. durch Eutrophierung oder Koppelhaltung der Flächen. Der in Segerer et al. 2013 genannte Fundort im Landkreis Kelheim konnte in letzter Zeit auch aktuell bestätigt werden.

Felshalden-Flechtenbärchen aktueller Fund, Landkreis Kelheim, 20. Mai 2024 (Foto: Oliver Böck)

Felshalden-Flechtenbärchen-Larve beim Fraß im Habitat, durch Zucht bestätigt, Landkreis Kelheim, 30. März 2018 (Foto: Steffen Schmidt), Falter wurden nach dem Schlupf wieder im Habitat ausgesetzt.

Felshalden-Flechtenbärchen Larvalhabitat, Landkreis Kelheim, 03. Juni 2017 (Foto: Oliver Böck)

Lebensraum Landkreis Kelheim, 13. Mai 2024 (Foto: Oliver Böck)

Art ist für ihre extremen Habitatansprüche bekannt. Sie mag es steil und sudöstlich bis sudwestlich exponiert. Die steinige, lückige und rohbodenreiche Felssteppenheide mit reichlich Erd- und Felsflechtenbewuchs muss dringend durch Beweidung in Hütehaltung offen gehalten werden. Zudem sollte über rohbodenöffnende Maßnahmen auf bromisierteren Flächen am Oberhang nachgedacht werden, die zur Vergrößerung der Habitatflächen führen. Derzeit dürfte die eigentliche Habitafläche nur zwischen einem und 1,5 Hektar betragen. Dort auch Funde von anderen bedeutenden xerothermen Insektenarten wie der Italienischen Schönschrecke (Calliptamus italicus) oder des Libellen-Schmetterlingshafts (Libelloides coccajus). Desweiteren konnte Steffen Schmidet mehrmals die Silberperlenwanze (Jalla dumosa, RL-Bayern 1) ebenda und an einem benachbarten Hang beobachten. Nachweise der Spinnenart Eresus sandaliatus, die daneben noch bei Kallmünz (Schloßberg, Eicher Berg, Hirmesberg) und am Eitelberg bei Undorf beobachtet wurde. Eine Koppelung der Flächen ist dringend zu vermeiden. Derzeit ist die Art im Gebiet stabil aber alleine die Isolation des Fundortes kann schnell zu einem Totalverlust führen.

Aktuell am 13.5.2024 vier Männchen und am 20.5.2024 drei Männchen und ein Weibchen. Die Population scheint kleiner geworden zu sein und die Art dürfte akut vor dem Aussterben stehen. Männchen waren sehr unruhig und flogen bei der kleinsten Störung auf.

In Mainfranken besitzt die Art aktuell ein Vorkommen das letztmalig 2012 bestätigt wurde (https://forum.lepiforum.org). Diese Meldungen konnten durch den Autor auf Grund der Punkte auf der Hinterflügeloberseite, welche der Schwesterart Setina irrorella in den Mittelgebirgen fehlen, genau bestimmt werden, zudem sind die frühe Flugzeit (Start in den ersten drei Maiwochen) und die geringere Größe weitere Indizien für Setina roscida. Eine eigene Nachsuche dort am 5.Mai 2017, bei bedecktem Himmel ergab ein Verdachtstier, welches aber leider nicht gekeschert werden konnte. Durch gezielte Beobachtungen sollte an allen ehemaligen Fundorten mit gut ausgeprägten flechtenreichen Erdseggenrasen wie am Giebel bei Eußenheim, am Ammerfeld bei Aschfeld, im NSG Grainberg-Kalbenstein und an der Ruine Homburg nach der Art dringend Ausschau gehalten werden. Hier muss die Beweidung der Flächen dringend erhalten werden, was sich auch positiv auf Arten wie Hipparchia semele oder Pyrgus carthami auswirkt.

Vorerst letzter Fundort (2012) in Mainfranken: lückiger Erdseggenmagerrasen bei Eußenheim, 5. Mai 2017 (Foto: Oliver Böck)

Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Art weiterhin akut vom Aussterben bedroht ist und nur alleine durch naturschutzfachliche Pflegemaßnahmen erhalten werden kann. Dabei ist dringend zu beachten den äußerst lückigen Charakter der Felssteppenheide beizubehalten und die Größe des Larvalhabitats zu vergrößern, denn davon profitieren auch andere hochgradig gefährdete Arten. Ein Monitoring ist dringend angeraten, da die wenigen Funde 2024 einen großen Anlass zur Besorgnis bieten. Über ein Zuchtprogramm sollte ebenfalls nachgedacht werden, da Steffen Schmidt aus den vier eingetragenen Raupen auch vier Falter erhielt, so scheint eine Erhaltungszucht wie sie es zum Beispiel in Tschechien für mehrere Arten unter anderem für die Berghexe (Chazara briseis) gibt, eine gute Option für den Erhalt zu sein (https://www.jarojaromer.cz/wp-content/uploads). Dieses Zuchtprogramm führte zur Wiederetablierung der Art an mehreren Stellen (Sucháčková Bartoňová et al. 2021). Im Moment ist der Fundort im Landkreis Kelheim der aktuellste in ganz Deutschland. Nachweise aus dem Kyffhäuser in Thüringen sind schon fast 20 Jahre alt, aktuell wahrscheinlich nur noch an der Nahe (Rennwald et al. 2011, Schuhmacher 2012). In der Unterart Setina roscida kuhlweinii zuletzt 2013 in Brandenburg (https://www.schmetterlinge-brandenburg-berlin.de). Somit trägt Bayern fast alleine die Verantwortung für dieses besondere Kleinod unserer einheimischen Fauna. Die Ermittlung über noch bestehende Vorkommen auf Mainfrankens Erdseggenrasen sollte ebenfalls eine besondere Priorität geniessen, um Artenhilfsmaßnahmen dort zu starten. Meldungen an unser Portal sind dringend erwünscht. Zur sicheren Bestimmung sollte auf Fotos der Hinterflügelunterseite geachtet werden. Die Verbreitung der Art ist ebenfalls dort zu finden, solange die Literaturangaben mit Datum oder genauerer Fundortangabe versehen waren.

Besonderer Dank an Dr. Steffen Schmidt für das Larvalfoto, zu den ökologischen Beobachtungen im Habitat und bei der Zucht.

Literaturangaben Online:

Rennwald, E. & Rodeland, J. (2024): Beiträge zu Setina roscida im Forum Bestimmung und Forum Diskussion. https://forum.lepiforum.org/post/624867, https://forum.lepiforum.org/post/583083, https://forum.lepiforum.org/post/948785,

https://www.schmetterlinge-brandenburg-berlin.de/index.php/arten-verbreitung

https://www.jarojaromer.cz/wp-content/uploads/Butterfly-conservation-in-practice.pdf

Literatur:

Metschl, C. & Sälzl, M. (1932-35): Die Schmetterlinge der Regensburger Umgebung. Dt. Ent. Z. Iris 46 (1932): 144-152; 47 (1933) 41-59, 167-187; 48 (1934) 78-104, 161-183; 49 (1935) 58-64. Dresden.

Rennwald, E.; Sobczyk, T. & Hofmann, A. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Spinnerartigen Falter (Lepidoptera: Bombyces, Sphinges s.l.) Deutschlands. – In: Binot-Hafke, M.; Balzer, S.; Becker, N.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Strauch, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3): 243-283

Segerer, A.H; Lichtmannecker, P.; Haslberger, A.; Grünewald, T. (2013): Bemerkenswerte Schmetterlingsfunde aus Bayern im Rahmen laufender Projekte zur genetischen Re-Identifikation heimischer Tierarten (BFB, GBOL) – 3. Beitrag (Insecta: Lepidoptera) – Nachrichtenblatt der Bayerischen Entomologen – 062: 2 – 9.

Schumacher H. (2012): Biotoppflegemaßnahmen in der Gemeinde Schloßböckelheim – Melanargia – Nachrichten der Arbeitsgemeinschaft Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen e.V. – 24: 45 – 47.

Sucháčková Bartoňová, A.; Konvička, M.; Marešová, J.; Bláhová, D.; Číp, D.; Skala, P.; Andres, M.; Hula, V.; Dolek, M.; Geyer, A.; Böck, O.; Kadlec, T.; Faltýnek Fric, Z. (2021): Extremely Endangered Butterflies of Scattered Central European Dry Grasslands Under Current Habitat Alteration. Insect Systematics and Diversity. Volume 5, Number 5 – 1-18.

Tannert, R. (1994): Erhebungen zur Schmetterlingsfauna 1988 bis 1990 (Lepidoptera) Kalkhochplateau und exponierte Trockenrasenhänge westlich Aschfeld/Unterfranken – Galathea, Berichte des Kreises Nürnberger Entomologen e.V. – 10: 107 – 120.

Thöny, H. (1995): Beitrag zur Schmetterlingsfauna der Region Ingolstadt/Eichstätt Dokumentation der Großschmetterlinge von Ingolstadt und seiner Umgebung – facetta – Berichte der Entomologischen Gesellschaft Ingolstadt e.V. – Supp1: 1 – 255.

Weidemann, H.J. & J. Köhler (1996);: Nachtfalter. Spinner & Schwärmer. Augsburg
(Naturbuch-Verlag).

Wittstadt, H. (1960): Die Großschmetterlinge des Regnitzgebietes – Bericht der naturforschenden Gesellschaft Bamberg – 37: 62 – 154.